Seismograph der Zeit. Heinrich Heine zum 165. Todestag

Gestern feierte Düsseldorf gleich drei Jubiläen rund um seinen großen Sohn Heinrich Heine. Der 165. Todestag erinnerte nicht nur an die Leidenszeit des Dichters in der Agonie seiner „Matratzengruft“, sondern an die Dichterehrung in seiner Geburtstadt.

Erstens: Mit einer digitalen Buchvorstellung und Lesung von Christian Liedtke feierte die Heinrich-Heine-Gesellschaft ihren Dichter und legte den Fokus auf Heines autobiographische Schriften.

Zweitens: Der WDR-Journalist Andreas Turnsek feierte in der Düsseldorfer Lokalzeit das 40. Jubiläum des Heinrich-Heine-Monuments in Düsseldorf. Sein Fernsehbeitrag war ein zeitübergreifender Rückblick auf das Denkmal damals und heute.

Drittens: Heines Todestag ist auch mit der Wiedereröffnung des Geburtshauses auf der Bolkerstraße 53 verknüpft. Im Heine-Schumann-Jahr 2006 eröffnete hier die Literaturhandlung Müller & Böhm. Sie feierte nun ihr 15jähriges Bestehen im Heine-Haus: mit einer Plakat-Aktion in der Stadt und einem filmischen Rückblick auf seine Gäste und Veranstaltungen.

Plakat-Aktion zum 15jährigen Jubiläum der Literaturhandlung Müller & Böhm im Heine-Haus.
Plakat-Aktion zum 15jährigen Jubiläum der Literaturhandlung Müller & Böhm im Heine-Haus. Foto: SP

Das Märchen meines Lebens: Heines autobiographische Texte

Um 18 Uhr wohnte ich in einem internen ZOOM-Meeting der Mitglieder der Heinrich-Heine-Gesellschaft bei. Christian Liedtke, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Heinrich-Heine-Instituts, stellte seine Neuerscheinung in Heines Stammverlag Hoffmann & Campe vor: „Das Märchen meines Lebens – Poetische Selbstporträts“. Das Buch enthält eine Auswahl von autobiographischen Texten Heines, wie z.B. einen seltenen Vollabdruck des Memoiren-Fragements, das sonst nur in Werkausgaben erhältlich ist. Liedtke verzeichnete jedoch auch abgelegene Textstellen und macht sie damit einem größeren Publikum zugänglich.

Die Lesung einiger Textauszüge zeigte, wie sehr Heines subjektive Schreibweise auch heute noch die Empfindungen des Publikums anspricht und die Herzen berührt. Heinrich Heine war einer der ersten Schriftsteller, der die Freiheit des Subjekts in Szene setzte und seine Texte auf diese Wirkung hinzielend verfasste.

Das Märchen meines Lebens. Poetische Selbstporträts
Das neue Buch über Heines Selbstporträts. Quelle: Verlagshomepage

Die autobiographischen Schriften geben viel Aufschluss über Heines Autorverständnis. Es ist bekannt, dass Heine seine persönliche Lebensgeschichte stets in den größeren Kontext der überindividuellen Geschichtsschreibung stellte. Liedtke bezeichnete Heinrich Heine gar als Seismographen der Zeit, der die Erschütterungen in Politik, Gesellschaft und Kultur seiner Zeit in sich aufnahm und in seinen literarischen Werken Stellung bezog.

Diese bewusst subjektive, zum Autobiographischen tendierende Schreibweise hat zudem einen philosophischen und politischen Aspekt: Sie entsprach Heines Freiheitsbegriff, der nicht auf politische Systeme, sondern stets auf das Individuum abzielte. Freiheit bedeutete für Heine vor allem Freiheit des Subjekts.

Liedtke, ebd. S. 247.

Als wäre es abgesprochen gewesen, verlas Liedtke zum Abschluss seiner Ausführungen ebenjenes Gedicht aus dem Zyklus „Zum Lazarus“, das ich für die 7. Folge der #HeineLesen-Reihe ausgewählt hatte. Von der Zeitgeschichte verlagert sich darin der Fokus auf die Tages- und Nachtzeit, die zur bestimmenden Konstante des bettlägerigen Dichters wird.

Wie langsam kriechet sie dahin,
Die Zeit, die schauderhafte Schnecke!
Ich aber, ganz bewegungslos
Blieb ich hier auf demselben Flecke.

Die Originalhandschrift des Gedichts in der digitalen Werkausgabe

Die Originalhandschrift des Gedichts in der digitalen Werkausgabe. Quelle: www.heine-portal.de

„Wie langsam kriechet sie dahin“: 7. Folge von #HeineLesen


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40 Jahre Heinrich-Heine-Monument in der WDR Lokalzeit

Gegen 19:52 Uhr sendete die Lokalzeit Düsseldorf den Beitrag von Andreas Turnsek: „40 Jahre Heine-Denkmal“. Der Filmbeitrag zeigte alte Archivaufnahmen aus der Entstehungsgeschichte des „Fragemals“. Das Heinrich-Heine-Monument wurde der Öffentlichkeit 1981 übergeben und steht seit 40 Jahren auf dem Schwanenmarkt.

Turnsek interviewte den 85-jährigen Künstler Bert Gerresheim, der noch heute eine enge Beziehung zu seinem ersten und recht kontroversen Kunstwerk im öffentlichen Raum hat.

Bert Gerresheim in der Lokalzeit Düsseldorf am 17.2.2021.
Bert Gerresheim in der Lokalzeit Düsseldorf am 17.2.2021. Foto: Screenshot

Heinrich Heine – so Gerresheim – fasziniere ihn als Grenzfigur an der Schwelle von Klassik, Romantik und Moderne. Das Denkmal solle Heine nicht feiern, sondern seine Widersprüchlichkeit spürbar machen. Nur von einer Seite zeige sich ein geschlossenes Bild, sofern der Betrachter ein solches sucht. Doch wenn man näher herangehe, zerfalle Heine in Widersprüchlichkeiten, so Gerresheim zu seiner Arbeit.

Als weitere Mitwirkende machte ich als Stadtführerin auf die unmittelbare Rezeption nach der Denkmalsübergabe aufmerksam, die in der reichhaltigen Presseausschnittssammlung des Heinrich-Heine-Instituts dokumentiert ist. Die Kinder hatten einen leichteren Zugang zum Monument als die befangenen Erwachsenen, denen eine klassische Dichterehrung vorschwebte.

Simone Pohlandt in der Lokalzeit Düsseldorf am 17.2.2021
Simone Pohlandt in der Lokalzeit Düsseldorf am 17.2.2021. Foto: Screenshot

Christian Liedtke vom Heinrich-Heine-Institut betonte das ungewöhnliche Aussehen des Denkmals, an dem man eben nicht vorbeigehen könne, ohne stehenzubleiben. Gerresheims Arbeit zähle nicht zu den unsichtbare Denkmalen, die Robert Musil angesichts der ausufernden Denkmalsflut des späten 19. Jahrhunderts kritisierte. Für Heine-Liebhaber aus aller Welt, sei das Heine-Monument ein wichtiger Anziehungspunkt, so Turnsek in seinem Fernsehbeitrag.

Den Abschluss der Dokumentation bildete eine Heine-Rezitation der Düsseldorfer Heine-Stipendiatin Ildana Gataullin aus Russland. Sie zitierte aus dem XXXI. Kapitel aus der Reise von München nach Genua und stellte Heines publizistischen Kampf für die Freiheits- und Menschenrechte heraus:

„Ich habe nie großen Werth gelegt auf Dichter-Ruhm, und ob man meine Lieder preiset oder tadelt, es kümmert mich wenig. Aber ein Schwert sollt Ihr mir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Befreyungskriege der Menschheit.“

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