Zwischen Erinnerungskultur und Stadtbild: Wie Bert Gerresheim Düsseldorf mit seinen Denkmälern geprägt hat

Links: Bert Gerresheim 2015 in seinem Atelier. Rechts: Ruhestätte auf dem Waldfriedhof Gerresheim, aufgenommen am 27. Juli 2025. (Beide Fotos: SP)

Am Mittwoch, den 16. Juli 2025 endete das bewegte Leben von Bert Gerresheim, einem Ausnahmekünstler, der weit über Düsseldorf hinaus als bedeutender Grafiker und Bildhauer gilt. Seine großartige schöpferische Kraft und sein grenzenloser Gestaltungswille haben ein beeindruckend vielfältiges Werk hervorgebracht. Mit diesem Nachruf auf sein Leben und Werk in Düsseldorf möchte ich wesentliche Facetten seiner Persönlichkeit, seines künstlerischen Verständnisses und seines Schaffens in Erinnerung rufen. Ergänzt werden diese durch persönliche Reminiszenzen und Einblicke in seine Werkstatt in Oberbilk.

1. Erste Kritzeleien: Bert Gerresheims Kindheit und Jugend

Bert Gerresheim, geboren am 8. Oktober 1935 in der Düsseldorfer Altstadt, entwickelte bereits als Kind eine erstaunliche Kreativität. Seine rheinisch-katholische Mutter förderte sein Talent nach Kräften, holte sich Rat bei der legendären Galeristin Johanna Ey und ermöglichte ihm so den Weg zur Kunst. Schon vor der Einschulung kritzelte er unermüdlich auf Schultafeln und benutzte Postkarten als Vorlagen, um Wörter und Bilder nachzuzeichnen. So konnte er bereits vor der Einschulung zeichnerisch schreiben, was die Lehrer irritierte.

„Den Jungen, lasst den mal kritzeln“,
meinte die Galeristin Johanna Ey.

Bert Gerresheim in: NiederRhein Edition, Ausgabe 01/2016

Sein Vater war Speditionskaufmann, hatte aber ein feines Gespür für das kreative Talent seines Sohnes. Er fuhr mit ihm nach Paris und besuchte das Musée Rodin. Dort stand der junge Bert zum ersten Mal vor dem gewaltigen „Höllentor“ des französischen Meisters. Die expressive Wucht und das dramatische Spiel der Figuren hinterließen einen bleibenden Eindruck. Noch Jahre später erzählte Gerresheim, wie ihn dieses Erlebnis förmlich elektrisiert habe. Zurück in Düsseldorf kaufte er Gips in der Apotheke und begann, den ersten Kopf am Küchentisch seiner Mutter zu modellieren. Doch das war seiner Mutter zu viel des Guten: Sie beförderte das Werk aus dem Fenster.

2. Studienjahre: Vorbilder und die Suche nach dem eigenen Ausdruck

Mit 15 Jahren wurde Bert Gerresheim früh Schüler von Otto Pankok, da sie in derselben Straße in Oberkassel wohnten – erst privat und dann ab 1956 an der Kunstakademie. Einmal erzählte mir Gerresheim lachend, wie er mit dem Abiturzeugnis in der Hand aufgeregt Pankoks Klasse platzte, die gerade mit einem weiblichen Aktmodell zeichnete. Er öffnete die Tür und erblickte eine dunkelhäutige Schönheit. Er hatte Pankoks Angebot, nach dem Abitur „sofort“ bei ihm zu beginnen, wörtlich verstanden. Es ist diese Mischung aus Tatendrang, Neugier und Leichtigkeit, die viele Künstlerkarrieren zu Beginn auszeichnet und die bei Bert Gerresheim im Laufe der Jahre zu Ausdauer und Disziplin reifen sollte. Diese Eigenschaften sollten sein ganzes Werk prägen.

Anschließend absolvierte er ab 1960 ein Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik in Köln, da die Universität Düsseldorf zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegründet war. Sein Lehrer Heinz Ladendorf, der Gerresheims Auffassung von Denkmalen prägte, verschaffte ihm einen ersten bildhauerischen Auftrag, der noch heute an der Außenwand des Kunsthistorischen Instituts hängt.

„Engel passieren Station Boboli nachts 3 Uhr“ am Kunsthistorischen Institut in Köln 1963.

Ich wollte Priester oder Psychologe werden.

Bert Gerresheim in: Helga Meister: Kunst in Düsseldorf, 1988

Die Suche nach dem eigenen Ausdruck führte ihn zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Expressionismus, Manierismus, Realismus, Surrealismus sowie dem Einfluss bedeutender Vorbilder wie Max Ernst, Otto Dix, Alberto Giacometti, Francis Bacon, Michelangelo und Auguste Rodin.

Die entscheidenden Impulse für seine bildhauerische Arbeit erhielt er ab 1967 durch mehrere Auslandsstipendien in Rom (Villa Massimo) und Florenz (Villa Romana). Sie öffneten ihm neue Horizonte und ermöglichten es ihm, eine eigenständige Bildsprache zu entwickeln, die oft Brüche und Vielschichtigkeit im Gewand der Renaissance zeigt.

Vexierporträt von Jean Genet (1970) in der Werkstatt des Künstlers 2015.

3. Durchbruch als Bildhauer mit dem „Fragemal“ für Heinrich Heine

Ab den 1970er Jahren stand die Bildhauerei im Zentrum seines Schaffens. Gerresheim wurde durch seine oftmals provokanten und kritisch-gesellschaftlichen Bronzeplastiken bekannt. In seinen Werken griff er Themen wie Vergänglichkeit, leidende und verstümmelte Menschen – wie die Contergan-Kinder – sowie die Brüchigkeit der modernen Gesellschaft und die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 auf.

Kontroverse Diskussionen um ein Werk der bildenden Kunst
im öffentlichen Raum können signalisieren, dass das diskutierte Bildwerk
nicht den erwarteten angenehmen Design Effekt bedient, sondern eine formalästhetische und geistig spirituelle Aussage vergegenwärtigt,
was immer zu denken gibt.

Bert Gerresheim in: Interview im DJournal 2015/4

Das 1981 enthüllte Heinrich-Heine-Monument in Düsseldorf steht exemplarisch für seine Kunst: Es ist bewusst kein klassisches Denkmal, sondern ein „Fragemal“, das zum Nachdenken herausfordert und keine einfachen Antworten bietet. Es ist ein einzigartiges Zeugnis für Gerresheims Suche nach einer zeitgemäßen, vielschichtigen Form des Erinnerns: offen, rätselhaft und weit entfernt von jedem denkmalhaften Pathos. Gerade seine Abstraktheit macht es einzigartig im Œuvre des Künstlers und zu einem besonderen Erinnerungsmal im öffentlichen Raum. Andere Werke Gerresheims, wie das Stadterhebungsmonument oder kirchliche Plastiken, weisen zwar symbolistische Elemente oder Brüche auf, bleiben in ihrer Grundform aber figurativ, klar deutbar und dem Motiv verpflichtet.

4. Lehrer und Künstler in Oberbilk

Fast drei Jahrzehnte lang, bis 1990, unterrichtete Bert Gerresheim neben seiner Tätigkeit als Bildhauer Deutsch und Kunst am Düsseldorfer Lessing-Gymnasium. Diese Zeit war von einer enormen Doppelbelastung geprägt. Oft arbeitete er nachts an seinen bildhauerischen Großprojekten, um Unterricht und Kunst miteinander vereinbaren zu können.

Die Förderung seiner Schüler lag ihm besonders am Herzen. Viele von ihnen erinnern sich an eine lebendige, forschende und kreative Unterrichtsgestaltung. Mit feinem Gespür erkannte Gerresheim individuelle Begabungen und förderte sie gezielt. Er war ein Mentor, der nicht nur Wissen vermittelte, sondern seine Schützlinge auch ermutigte, ihren eigenen künstlerischen Ausdruck zu finden und diesen mutig umzusetzen. Eltern, die das Gespräch mit ihm suchten, brauchten im Schulgebäude nur der Spur aus Gips zu folgen, die er hinterließ. Wie oft gibt es Gymnasiallehrer, die so authentisch wirken, dass sie die Sympathien ihrer Schüler gewinnen?

Simone Pohlandt: Auseinandersetzung und Provokation, 2016.

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Woher nahm Bert Gerresheim die Inspiration für seine Werke?

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5. Geistiger Hintergrund: Bert Gerresheim als weltlicher Franziskaner

Bert Gerresheim war nicht nur ein herausragender Bildhauer bzw. Modelleur, sondern auch ein zutiefst gläubiger Christ. Seine Spiritualität und soziale Haltung prägten zeitlebens seine künstlerische und persönliche Entwicklung. Diese geistige Grundlage fand einen besonderen Ausdruck in seiner Zugehörigkeit zum „weltlichen Franziskanerorden“. Er verstand seine Arbeit als Künstler und Pädagoge stets als Dienst an den Menschen, der sich an franziskanischen Werten orientierte.

Wesentliche Aspekte waren dabei Bescheidenheit und Demut, Hilfe für Bedürftige sowie sein Engagement für den Frieden. Besonders auffällig war seine Sensibilität für das Leid und die Verwundbarkeit der Menschen – eine Grundstimmung, die sich in seinen Plastiken und grafischen Arbeiten wiederfindet. Nicht zuletzt wurde dieser Geisteshaltung auch in seiner Traueranzeige Ausdruck verliehen: Statt Blumen am Grab wurde eine Spende für die Suppenküche der Franziskaner („FirminusKlause“) erbeten.

6. Kirchliche und weltliche Aufträge

Für Bert Gerresheim waren Denkmäler Orte des Erinnerns und des Aufwerfens von Fragen. So prägte er das Stadtbild Düsseldorfs wie kaum ein Zweiter. Sein Werkverzeichnis umfasst zahlreiche öffentliche Plastiken für Heimatvereine, darunter die Düsseldorfer Jonges, sowie für zahlreiche Gemeinden.

Er verstand es meisterhaft, seine christliche Prägung und die Traditionen europäischer Pilgerorte in eine künstlerisch und gesellschaftlich bedeutsame Form zu bringen. Zu seinen Werken zählen das monumentale Kirchenportal an der Wallfahrtsbasilika in Kevelaer, die „Apokalypse“ aus dem Jahr 2002. Darüber hinaus schuf er zahlreiche Ausstattungswerke für Kirchen, unter anderem in der Region Niederrhein, in Köln oder Münster.

Zudem war er in künstlerischen Dialogprojekten in Spanien und Polen tätig. Über seinen galicischen Mitarbeiter Francisco Ces Hernández kam er auch vermehrt mit der Jakobusverehrung in Berührung. In Rianxo, einem bekannten Wallfahrtsort auf dem Camino de Santiago in Galicien, schuf er als Zeichen der Verbundenheit eine Skulptur der Muttergottes, die heute die Pilger begrüßt. Aus Polen inspirierten ihn der ermordete Priester Jerzy Popieluszko und die Lehre von Papst Johannes Paul II., der auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Künstler dazu aufforderte, religiöse Themen in die aktuelle Zeit zu holen („Aggiornamento“).

7. Abschied von der Werkstatt und bleibende Wirkung

Im Jahr 2020 musste Bert Gerresheim schweren Herzens seine traditionsreiche Werkstatt aufgeben, die sich seit etwa fünf Jahrzehnten auf der Hüttenstraße 115 befand. Die vorbeifahrenden Züge zum Hauptbahnhof waren schemenhaft hinter den Fensterscheiben des Hinterhofs zu sehen.

Seinem ungebrochenen Gestaltungswillen tat dieser Einschnitt jedoch keinen Abbruch. Er widmete sich fortan wieder verstärkt grafischen Arbeiten, die er seit 2011 in umfangreichen Bildbänden im Mönchengladbacher B. Kühlen Verlag veröffentlicht hat.

Bert Gerresheim war ein unheimlich sympathischer Künstler, der mit Ausdauer, Mut und intellektueller Schärfe das Bild unserer Stadt und das Nachdenken über Geschichte und Menschlichkeit geprägt hat. Sein Vermächtnis lebt in seinen „Erinnerungsmalen“ fort – und lädt dazu ein, hinzusehen, nachzudenken und zu fragen.

Blick ins Atelier: Bozzetto für die Heinrich-Heine-Büste in der Walhalla in der Werkstatt des Künstlers 2015, umgeben von Kasperle und Karnevalsorden.

8. Bedeutende Einzelausstellungen und Retrospektiven

Es folgt eine Auswahl großer Einzelausstellungen zu Gerresheims Werk.

Jahr

Titel / Anlass

Ort

Thematischer Schwerpunkt

1978

„Vexierplastiken – Vexierbilder 1968–1978“

Kunsthalle Düsseldorf / Kunstverein

Frühe plastische Experimente und Vexierbilder

1995

„Gewalt und Liebe – Skulpturen und Zeichnungen“

Stadtmuseum Düsseldorf, Galerie H.-J. Niepel

Skulpturen und Zeichnungen aus mehreren Werkphasen

2005/06

„Unterwegs. Bert Gerresheim zum 70. Geburtstag“

Bischöfliches Generalvikariat, Diözese Münster

Stationen und Motive seines künstlerischen Lebenswegs

2015/16

„Alles vexiert“. Hommage zum 80. Geburtstag

Clemens Sels Museum Neuss

Überblick zu Vexiertechnik, plastisches & grafisches Werk

2020/21

„Bert Gerresheim. Geschichten“ zum 85. Geburtstag

Stadtmuseum Düsseldorf

Plastiken, Zeichnungen und Atelier-Originale

9. Bert Gerresheims Werke im Düsseldorfer Stadtraum

Diese Werke schuf Gerresheim in Düsseldorf – eine Auswahl.

Jahr

Werktitel

Standort

Beschreibung

1981

Heinrich-Heine-Monument

Schwanenmarkt, Carlstadt

„Fragemal“, Physiognomische Vexierlandschaft der Totenmaske Heines

1982

Maksymilian-Kolbe-Kreuz

Rochuskirche, Pempelfort

Monumentales Kruzifik in Tau-Form zum Katholikentag; Gedenken an den polnischen Priester Maximilian Kolbe

1985

Mahnmal des schweigenden Widerstands „Nepomuk-Popiełuszko“

Hofgartenrampe/Oberkasseler Brücke

Brückenheiliger mit den Zügen des polnisches Priesters Jerzy Popiełuszkos

1988

Stadterhebungsmonument

Burgplatz (Ecke Joseph-Wimmer-Gasse), Altstadt

Figurenreiches Bronze-Panorama zur Stadtwerdung Düsseldorfs

1990

St.-Josef-Arbeitermonument

Kirche St. Josef, Oberbilk (Josefplatz)

Großplastik des Heiligen Josefs als Patron der Arbeiter

1991

Düsselgitter

Burgplatz (Ecke Joseph-Wimmer-Gasse), Altstadt

Abschluss und Ergänzung des Stadterhebungs-monuments

1991

Friedrich-Spee-Epitaph

St. Suitbertus, Kaiserswerth

Bronzeepitaph zum 400. Geburtstag mit Symbolik zu Leben und Werk Spees

1993

Portal an Alt St. Martin

Bachstraße, Bilk

Eingangstüren mit plastischem Reliefzyklus an der ältesten Kirche Düsseldorfs

1993

Otto-Pankok-Gedenktafel

Brend’amourstraße, Oberkassel

Erinnerungstafel zu Ehren seines Mentors

2001

Standbild des Heiligen Rochus

Außenbereich Rochuskirche, Pempelfort

Lebensgroße Bronzeplastik, Schutzpatron gegen Seuchen

2003

Mathilde-Wesendonck-Gedenktafel

Schwanenmarkt 1, Carlstadt

Gedenktafel für die Dichterin und Mäzenin Mathilde Wesendonck

2003

„Homo viator“ / „Jakobus im Aufbruch“

Pfarrhaus, Kaiserswerth

Plastik des „Menschen auf dem Weg“

2007

Gedächtnistafel Dr. Carl Klinkhammer

Bunkerkirche, Heerdt

Erinnerung an den katholischen Priester und NS-Gegner

2008

Hoppeditzdenkmal

Rheinort/Ecke Zollstraße, Altstadt

Großplastik der Düsseldorfer Karnevalsfigur

2012

Heine-Buch-Denkmal

Campus der Heinrich-Heine-Universität

Großplastik in Buchform, mit Porträt und Textrelief zu Heinrich Heine

2012

Karl-Arnold-Büstendenkmal

Johannes-Rau-Platz

Porträtbüste des ersten Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens

2017

Mutter-Ey-Denkmal

Mutter-Ey-Platz, Altstadt

Standbild zu Ehren der Galeristin Johanna Ey

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