Heine vor dem Marktplatz in Düsseldorf

Heinrich Heines Kindheit in Düsseldorf: Familie, Hobbys, Haustiere

Foto: Erstellt mit Canva.

„Aus den frühesten Anfängen erklären sich die spätesten Erscheinungen“, schrieb Heinrich Heine zu Beginn seiner posthum erschienenen Memoiren, in denen er heitere, traurige und sehr persönliche Erinnerungen an seine Düsseldorfer Kindheit erzählt. In diesem Blogbeitrag möchte ich die prägenden Einflüsse auf den jungen Dichter zusammentragen, die sich an verschiedenen Stellen in seinem Gesamtwerk finden lassen.

Zu Beginn gebe ich einen kurzen Überblick über den politischen und gesellschaftlichen Kontext von Heines Kindheit und Jugend in Düsseldorf. Im Hauptteil stelle ich Ihnen Heines Familie, seine Eltern und Geschwister vor. Sie erfahren, was Heine am liebsten aß, welche jüdischen Traditionen er kannte, was er in seiner Freizeit tat und welche Hobbys er pflegte, welche Haustiere er hielt und welche Spiele und Phantasiereisen er unternahm. Tauchen Sie tief in Heines Kindheit ein und erleben Sie einen aufgeweckten Jungen, der schon als Kind an etwas ganz Besonderes war.

1. Heinrich Heines Kindheit am Beginn des 19. Jahrhunderts

Der vermutlich im Januar 1798 statt im Dezember 1797 geborene Dichter Heinrich Heine wurde in eine politische und gesellschaftliche Umbruchszeit hineingeboren. Düsseldorf war die Hauptstadt des Herzogtums Jülich-Berg gewesen und war wie die übrigen linksrheinischen Gebiete seit 1795 französisch besetzt. Im Februar 1801 wurde Düsseldorf im Frieden von Lunéville an Kurpfalz-Bayern zurückgegeben. So verbrachte Heine zwischen 1801 und 1806 seine frühe Kindheit und den Beginn seiner mittleren Kindheit als Untertan des bayerischen Kurfürsten Maximilian Joseph und beschrieb in seinem Reisebild Ideen. Das Buch Le Grand die Abdankung desselben.

Infografik: Politik und Geschichte zu Heines Zeit
Infografik: Zeitstrahl zu Politik und Geschichte des beginnenden 19. Jahrhunderts

1806 wurde der achtjährige Harry Heine, der sich nach seiner Taufe Heinrich nannte, französischer Untertan und blieb es von seiner späten Kindheit bis in seine frühen Jugendjahre. Im November 1811 erlebte der damals 13-Jährige den Aufenthalt des französischen Kaisers in Düsseldorf und war von Napoleons Ausstrahlung fasziniert. Bereits zwei Jahre später wurde Düsseldorf von Preußen besetzt und Heinrich Heine entwickelte schon damals eine Abneigung gegen das Preußentum. Im April 1814 dankte Napoleon in Fontainebleau als Kaiser ab und der Wiener Kongress leitete um 1814/15 die Neuordnung Europas ein. Gleichzeitig wurden auch die Weichen für Heines berufliche Laufbahn als Kaufmann gestellt.

Infografik: Zeitstrahl zu Heines Kindheit und Jugend
Infografik: Zeitstrahl zur Kindheit und Jugend Heinrich Heines

Heines Kindheit und Jugend fiel also in eine Zeit wechselnder, politischer Machtverhältnisse. Den größten Einfluss auf seine geistige Entwicklung hatte die Franzosenzeit in Düsseldorf und mit ihr auch die Errungenschaften der Französischen Revolution, insbesondere der Code Civil, der den Juden die bürgerliche Gleichstellung brachte. Heine schrieb rückblickend: „Ich bin geboren zu Ende des skeptischen achtzehnten Jahrhunderts und in einer Stadt, wo zur Zeit meiner Kindheit, nicht bloß die Franzosen, sondern auch der französische Geist herrschte.“

2. Heinrich Heines Eltern und Geschwister

Harry Heine war das erste Kind von Betty und Samson Heine und wurde in der heutigen Bolkerstraße 53 geboren. Es folgten seine Schwester Charlotte sowie seine beiden Brüder Gustav und Maximilian. Die Heines waren eine jüdische Familie, jedoch nicht orthodox. Im folgenden möchte ich beleuchten, welche Rolle sein Elternhaus und seine Geschwister in seiner Entwicklung spielten.

2.1 Heines Mutter Betty: Eine Frau der Aufklärung mit strengen Prinzipien

Betty Heine (geb. van Geldern) sorgte sich um den Haushalt und kümmerte sich um die Erziehung und kulturelle Bildung der Kinder. Dabei ließ sie sich von den Prinzipien der Aufklärung und von der Kindererziehung von Jean-Jacques Rousseau leiten, wonach Kinder gefördert und ernst genommen werden sollen. Betty war eine strenge und vernunftbetonte Mutter. Heine schrieb in seinen Memoiren: „Ihre Vernunft und ihre Empfindung war die Gesundheit selbst und nicht von ihr erbte ich den Sinn für das Phantastische und Romantik.“ Heine bewunderte besonders ihren „hohe[n] Geist“ und ihre innige Mutterliebe. Allerdings verteilte sie gelegentlich auch Ohrfeigen und war deshalb sogar bei den Nachbarskindern gefürchtet.

Die dichterische Begabung ihres Erstgeborenen war Bettys größte Sorge. Obwohl sie selbst eine sehr belesene Frau war und Bücher regelrecht verschlang, „war [sie] überhaupt nicht damit zufrieden, daß ich Verse machen lernte und seien es auch nur französische; sie hatte nämlich damals die größte Angst, daß ich ein Dichter werden möchte; das wäre das Schlimmste, sagte sie immer, was mir passieren könne.“ Poetik und Rhetorik gehörten damals zu den Unterrichtsfächern am Gymnasium, und Heine lernte dort unter anderem die französische Metrik. Bettys Furcht vor der Schriftstellerei war so groß, dass sie Heine jeden Roman aus den Händen riss und den Dienstmägden verbot, ihm Gespenstergeschichten zu erzählen, um ihren Sohn vor allzu viel Aberglauben zu bewahren.

2.2 Heines Vater Samson: Ein Mann mit Herz

Wenn der kleine Harry Heine morgens in die Wohnstube trat und seinem Vater einen guten Morgen wünschte, saß Samson Heine bereits am Schreibtisch und ging seinen Tagesgeschäften nach. Sein äußeres Auftreten als Kaufmann war etwas wichtigtuerisch, denn er wollte klüger scheinen als er war. Samson Heine liebte modische Stoffe und exklusive Luxusgüter, die er gerne einkaufte, doch der Verkauf gelang ihm nur in Zeiten des gesellschaftlichen Wohlstands. Die durch Napoleons Kontinentalsperre ausgelöste Wirtschaftskrise überstand er nicht und war am Ende seiner kaufmännischen Tätigkeit hoch verschuldet – ganz im Gegensatz zu seinem Bruder Salomon Heine in Hamburg, der aus Krisen gestärkt hervorging und mehrfacher Millionär wurde.

Der Charakter von Heines Vater war gutmütig, großzügig und sehr höflich, doch auch leichtsinnig und von kindlichem Gemüt. Harry liebte ihn trotz seiner vielen menschlichen Schwächen und schrieb in seinen Memoiren: „Er war von allen Menschen derjenige, den ich am meisten auf dieser Erde geliebt.“ Heine beschrieb ihn als sehr gefühlsbetonten Menschen: „Er dachte weniger mit dem Kopfe als mit dem Herzen und hatte das liebenswürdigste Herz, das man sich denken kann.“

2.3 Heines Geschwister: Charlotte, Gustav und Maximilian

Mit seiner humorvollen Schwester Charlotte (geb. um 1800) verband Heine sowohl in seiner Kindheit als auch im Erwachsenenalter eine innige geschwisterliche Beziehung. Sie war 2-3 Jahre jünger als er und erhielt von ihren Eltern Gesangsunterricht. Im Hinterhof der Bolkerstraße spielten beide Kochen und Verstecken. Auch half Heine seiner Schwester manchmal bei den Hausaufgaben und schrieb ihr einst eine Gespenstergeschichte, die so brillant war, das der Schwindel in der Schule aufflog. Heine widmete ihr das Gedicht „Mein Kind, wir waren Kinder“ im Buch der Lieder. Mehr über Charlotte erfahren Sie im diesem Blogartikel. Im folgenden Video hören Sie die Vertonung des Gedichts:


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Die beiden Brüder waren wesentlich jünger als Heine. Erst in späteren Jahren führte er eine lebhafte Beziehung mit seinem literarisch ambitionierten Bruder Maximilian (geb. um 1806). Auf den gemeinsamen Spaziergängen durch Lüneburg beriet der junge Student Heine den 13-jährigen Gymnasiasten in literarischen Fragen und gab ihm Literaturempfehlungen. Umgekehrt hat Maximilian, der später als Arzt in Russland arbeitete, Heine auf Puschkin aufmerksam gemacht. Das Verhältnis zu seinem Bruder Gustav (geb. um 1804) war eher gespannt, da er durch seine intrigante Art für den einen oder anderen Ärger sorgte. Kurz vor Heines Tod besuchte Gustav ihn in seiner „Matratzengruft“ und brachte auch Charlotte mit, die ihren Bruder zum ersten und letzten Mal in Paris besuchte.

3. Heines Lieblingsspeisen

Heinrich Heine war ein Feinschmecker: Auf seinen Reisen lernte er die englische, italienische, polnische und französische Küche kennen und speiste in den besten Restaurants. Auch als Kind hatte er die eine oder andere Lieblingsspeise. Welche Gaumenfreuden Heine in Düsseldorf genoss, erfahren Sie hier.

3.1 Süße Gebäcke und Suppen

Zu den vielen Erinnerungen an seine Kindheit in Düsseldorf gehört eine besondere Vorliebe für frisch gebackene, duftende Apfeltörtchen, die auf dem Marktplatz angeboten wurden. In einer humorvollen Anekdote spannt Heine den Bogen von seiner früheren Leidenschaft für diese Leckerei zur französischen Küche: „Apfeltörtchen waren nämlich damals meine Passion – jetzt ist es Liebe, Wahrheit, Freiheit und Krebssuppe.“ Und ja, Heinrich Heine war auch ein „Suppenkaspar“:

Suppe ist mein Lieblingsgericht – Madame, ich denke nächstens nach London zu reisen, wenn es aber wirklich wahr ist, daß man dort keine Suppe bekommt, so treibt mich die Sehnsucht bald wieder zurück nach den Suppenfleischtöpfen des Vaterlandes. Über das Essen der alten Hebräer könnt‘ ich weitläuftig mich aussprechen und bis auf die jüdische Küche der neuesten Zeit herabgehen.

Heinrich Heine: Ideen. Das Buch Le Grand

An ein anderes süßes Gebäck, das es in Düsseldorf zu Neujahr gab, erinnert sich Heine 1848 in einem Brief an seine Mutter, der zugleich ein Zeugnis für die zeitweise prekäre finanzielle Lage der Familie ist:

Ein Neujöhrchen wie wir sie in Düsseldorf des Morgens aßen, beim Kaffé, der aus drey Bohnen und 3 Pfund Cigorien bestand. Von Zucker keine Idee! Erinnerst Du Dich noch der großen Kanne, die ein Blumentopf oder wie eine römische Vase aussah? War von sehr schönem schwarzen Blech.

Paris, 28. Dezember 1848

Das Gebäck bestand aber aus vier miteinander verbundenen Knoten oder Spiralen, die wie zwei Achten aussahen. Die Vierfachspirale oder keltische Doppelspirale soll die vier Mondphasen darstellen und ist ein prähistorisches Symbol, das ich im Archäologischen Museum in Heraklion (Kreta) gesehen habe. Die Bedeutung als Neujahrsgebäck ist nicht geklärt.

3.2 Jüdische Küche

Darüber hinaus schwärmte Heinrich Heine in seinen literarischen Werken von der jüdischen Küche, die er in seinem Elternhaus zu schätzen lernte. Ganz besonders mundete ihm „Schalet“ bzw. „Cholent“, bei dem es regionale Unterschiede in der Zubereitung gibt. Während es in West- und Süddeutschland als kuchen- oder puddingartiges Gericht bekannt war, wird es heutzutage eher als eine Art Kartoffelauflauf beschrieben, der über Stunden hinweg gegart wird. Interessanterweise existieren sowohl aschkenasische als auch sefardische Rezepte für dieses traditionelle Gericht, wodurch sich regionale Vielfalt und kulturelle Einflüsse in der jüdischen Küche widerspiegeln.

Schalet, schöner Götterfunken / Tochter aus Elysium! / Also klänge Schillers Hochlied, / Hätt‘ er Schalet je gekostet.

Heinrich Heine: Romanzero

Auch Heines Alter Ego, die literarische Figur des Don Isaak, der vom Judentum zum Christentum konvertiert war, lobte die jüdische Küche, für die er eigens ins Frankfurter Judenghetto reiste. Don Isaak scheint auch Heines persönliche, kulinarische Vorlieben widerzuspiegeln.

Ich sah wieder im Geiste die Karpfen mit brauner Rosinensauçe, die meine Tante für den Freytagabend so erbaulich zu bereiten wußte; ich sah wieder das gedämpfte Hammelfleisch mit Knoblauch und Mayrettig, womit man die Todten erwecken kann, und die Suppe mit schwärmerisch schwimmenden Klöschen (…) und meine Seele schmolz, wie die Töne einer verliebten Nachtigall.

Heinrich Heine: Der Rabbi von Bacherach

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4. Das Judentum im familiären Alltag

Die jüdische Religion war fester Bestandteil des Familienlebens. Hohe Feste und Traditionen wie der Sabbat wurden gefeiert, aber Heines Eltern übernahmen auch christliche Bräuche und beschenkten ihre Kinder zu Weihnachten. Vor allem um das Sabbatfest ranken sich einige amüsante Anekdoten aus dem frühen Leben Heinrich Heines. Als einmal am Samstag in der Bolkerstraße ein Brand ausbrach und Heine aufgefordert wurde, sich wie die anderen an den Löscharbeiten zu beteiligen, soll er sich entschieden geweigert und gesagt haben: „Ich darf’s nicht, und ich tu’s nicht, denn wir haben heute Schabbes!“

In einer anderen Episode wird Harry Heine dabei erwischt, wie er am Sabbat reife Weintrauben mit dem Mund abpflückt, obwohl das Ernten nach jüdischem Gesetz an Feiertagen verboten ist. Als er zur Rede gestellt wird, rechtfertigte er sich mit den Worten: „Mit der Hand abreißen darf ich nichts, aber mit dem Munde abzubeißen und zu essen, hat uns das Gesetz nicht verwehrt.“

Darüber hinaus erhielt Harry Heine um 1810 Privatunterricht in der Ratinger Straße, der ihn mit den Grundlagen der hebräischen Sprache und der Religion vertraut machen sollte. Es wird vermutet, dass er die Bar Mitzwa abgelegt hat, ein wichtiges Ritual im jüdischen Leben, das mit der Konfirmation vergleichbar ist. Doch es ist nicht eindeutig belegt.

Ein interessanter Aspekt des familiären Umfelds war die sprachliche Dynamik. Heinrich Heines Eltern kommunizierten in einem deutsch-jüdischen Jargon und sprachen nur gebrochen Hochdeutsch. Ihr Dialekt schlug sich später auch in privaten Briefen und im familiären Umgangston ihrer Kinder nieder. Der Mutter war dies ein Dorn im Auge, denn sie wollte, dass ihre Kinder die deutsche Hochsprache beherrschten und sich vom jiddischen Dialekt befreiten, der für sie ein Symbol für die jahrzehntelange Unterdrückung und Bildungsferne der Juden war.

5. Freizeit und Hobbys

Harry Heine offenbarte früh eine innige Beziehung zur Welt der Literatur. Als echter Bücherwurm war es keine Seltenheit, ihn bis in die späten Abendstunden in seinem ungeheizten Zimmer anzutreffen, gekleidet in eine graue Wollmütze und einen Pelzrock, während der warme Schein der Kerzen die Buchseiten erleuchtete. Sein Interesse an Büchern spiegelte seine phantasievolle Natur wider. Harry war ein Kind, das vor Energie und Wissbegierde nur so sprühte, stets auf der Suche nach neuen Abenteuern zwischen den Zeilen der Geschichten, die er verschlang.

Sein erstes Buch waren die Abenteuer des Don Quixote von La Mancha, beschrieben von Miguel de Cervantes Saavedra. Diese epische Erzählung von einem träumerischen Ritter und seinem loyalen Begleiter Sancho Panza nahm Harry für baren Ernst und verstand noch nicht die Ironie dieses Werkes.

Ich erinnere mich noch ganz genau jener kleinen Zeit, wo ich mich eines frühen Morgens von Hause wegstahl, und nach dem Hofgarten eilte, um dort ungestört den Don Quixote zu lesen. Es war ein schöner Maitag, lauschend im stillen Morgenlichte lag der blühende Frühling, und ließ sich loben von der Nachtigall, seiner süßen Schmeichlerin, und diese sang ihr Loblied so karessierend weich, so schmelzend enthusiastisch, daß die verschämtesten Knospen aufsprangen, und die lüsternen Gräser und die duftigen Sonnenstrahlen sich hastiger küßten, und Bäume und Blumen schauerten, vor eitelem Entzücken. Ich aber setzte mich auf eine alte mosige Steinbank in der sogenannten Seufzerallee unfern des Wasserfalls, und ergötzte mein kleines Herz an den großen Abenteuern des kühnen Ritters.

Heinrich Heine: Die Bäder von Lukka, Cap. XVI

Als Kind erfreute sich Heine auch am Summen der Sommerkäfer und suchte in den Büschen der Düssel nach Vogelnestern. Hier zeigte sich auch schon früh Heinrich Heines innige Verbundenheit mit der Natur, die er später in seiner berühmten „Harzreise“ eindrucksvoll beschrieb. Laut Heine verstehen Kinder noch die Sprache der Tiere und Pflanzen, während Erwachsene die Welt realistisch betrachten. Auch den Dichtern ist es vergönnt, die Stimmung der Natur einzufangen und mit Naturgeistern, Elfen und Kobolden zu kommunizieren.

Indes beschränkte sich Heines kindliche Leidenschaft nicht nur auf das Dichten und Lesen allein; er fand auch Freude an handwerklichen und künstlerischen Tätigkeiten wie Nähen und Zeichnen. Seine Begeisterung für das Nähen entdeckte er im Stofflager seines Vaters, wo immer Stoffreste übrig waren, die er entweder seinen Schulfreundinnen mitbrachte oder sich selbst zu einer kunterbunten Narrenjacke nähte, die er im Düsseldorfer Straßenkarneval tragen wollte. Leider bekam er nicht die Erlaubnis seiner Eltern, daran teilzunehmen, und verschenkte die Jacke an einen Nachbarsjungen, der sie lange aufbewahrte und später Heines Schwester aufsuchte, um ihr von seiner Verehrung zu berichten.

Auch im Zeichnen soll Heine sehr talentiert gewesen sein und schöne Porträts seiner Eltern angefertigt haben. Leider sind diese nicht erhalten und wir können seine Zeichenkünste nur aus den überlieferten Briefen erahnen. Allerdings schlief sein Zeichenlehrer im Unterricht und träumte von seinen Schulden, sodass Harry Heine einen Esel zeichnete und ihn auf den Rücken seines schlafenden Lehrers band. Als ihm die Straßenjugend grölend folgte, erregte er das Mitleid einer alten Frau, die ihn aufklärte. Der Lehrer beschwerte sich bei Heines Vater, und dieser erwiderte: „Aber mein Herr, wie ist es möglich bei ihrer bekannten Aufmerksamkeit, daß mein Sohn das bewerkstellen konnte?“

6. Heines Haustiere

Zur Familie Heine gehörten ein Jagdhund und eine Katze. In den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski heißt es: „Unsere Katze hieß Mimi und unser Hund hieß Joli. Er hatte viel Menschenkenntniß und ging mir immer aus dem Wege, wenn ich zur Peitsche griff.“ Beide Haustiere fanden jedoch einen grausamen Tod. Die Katze Mimi wurde Opfer von Heines Katzenexperiment. Die Details können Sie sich im folgenden Video anhören.


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Abgesehen von diesem tragischen Einzelfall war Heine ein ausgesprochener Katzenliebhaber und hatte eine besondere Vorliebe für Angorakatzen, die aus Kleinasien nach Europa eingeführt worden waren. Eine dieser Katzen begegnete ihm auf dem Dachboden seines Onkels Simon van Geldern in der Mertensgasse, und er berichtet von ihr, dass sie manchmal mit ihrem Schwanz den Staub fegte. In Heines Phantasie war sie manchmal eine verzauberte Prinzessin, und er stellte sich den Dachboden als ihren Palast vor.

Der Hund Joli gehörte zu den Jagdhunden von Heines Vater, die dieser zusammen mit Pferden nach Düsseldorf mitgebracht hatte. Heines Mutter Betty hatte keinen Zugang zu diesen Liebhabereien ihres Mannes und schaffte sie ab. Laut Heine durfte nur Joli bleiben:

Er fand Gnade in ihren Augen weil er eben gar nichts von einem Jagdhund an sich hatte und ein bürgerlich treuer und tugendhafter Haushund werden konnte. Er bewohnte im leeren Stalle die alte Kalesche meines Vaters und wenn dieser hier mit ihm zusammentraf warfen sie sich wechselseitig bedeutende Blicke zu. Ja, Joly, seufzte dann mein Vater und Joly wedelte wehmüthig mit dem Schwanze. Ich glaube der Hund war ein Heuchler, und einst, in übler Laune, als sein Liebling über einen Fußtritt allzu jämmerlich wimmerte, gestand mein Vater daß die Canaille sich verstelle. Am Ende ward Joly sehr räudig und da er eine wandlende Kaserne von Flöhen geworden, mußte er ersäuft werden.

Heinrich Heine: Memoiren

Im Hinterhof der Bolkerstraße 53 wird es sicherlich auch einen Hühnerstall gegeben haben, da Heine und seine Schwester darin spielten und wie die Hähne krähten.

7. Fantasiereisen auf dem Dachboden

In das Haus seines Onkels Simon van Geldern zog es Heine nicht nur wegen der Angorakatze. Simon war der Bruder seiner Mutter und ein liebenswerter Bücherwurm, der seinen Neffen zum Schreiben inspirierte und ihm seine umfangreiche Privatbibliothek zur Verfügung stellte. Sein Haus ist Teil meiner Heinrich-Heine-Touren durch Düsseldorf.

Doch damit nicht genug: Heine durfte sich auch stundenlang auf dem geheimnisvollen, staubigen Dachboden aufhalten und in dem alten Gerümpel herumstöbern, das sich in den mehr als 100 Jahren Familiengeschichte der van Gelderns in Düsseldorf angesammelt hatte.

Die meisten Erinnerungsstücke stammten freilich aus dem Haushalt seiner Großeltern, darunter auch das erste Tagebuch seines Großonkels, der wegen seiner drei großen Reisen in den Vorderen Orient den Beinamen „der Chevalier“ oder „der Morgenländer“ erhielt. Mehr über diesen faszinierenden Großonkel lesen Sie hier.

Heine konnte die hebräische Schrift im Tagebuch nicht lesen, aber aus den Erzählungen seiner Großtanten erträumte er sich das Leben dieses Mannes und stellte sich vor, selbst so weit gereist zu sein. Er verfügte über eine blühende Phantasie, die auch in seinen späten literarischen Werken noch zu spüren ist. In seinen Memoiren heißt es:

Mein Leben glich damals einem großen Journal, wo die obere Abteilung die Gegenwart, den Tag mit seinen Tagesberichten und Tagesdebatten enthielt, während in der unteren Abtheilung, die poetische Vergangenheit, in fortlaufenden Nachtträumen, wie eine Reihenfolge von Romanfeuilletons, sich phantastisch kund gab.

Heinrich Heine: Memoiren

8. Heines Bekanntschaft mit einem Tambourmajor

Zwischen 1806 und 1813 herrschten die Franzosen in Düsseldorf und der etwa 8-jährige Harry Heine lernte bei der Einquartierung französischer Soldaten im Hinterhof der Bolkerstraße 53 den Tambourmajor Monsieur Le Grand kennen:

Ich kleiner Junge hing an ihm wie eine Klette, und half ihm seine Knöpfe spiegelblank putzen und seine Weste mit Kreide weißen – denn Monsieur Le Grand wollte gerne gefallen – und ich folgte ihm auch auf die Wache, nach dem Appell, nach der Parade – da war nichts als Waffenglanz und Lustigkeit (…)

Heinrich Heine: Ideen. Das Buch Le Grand

Leider ist uns keine konkrete Person überliefert. Heine hat ihm im gleichnamigen Reisebild ein literarisches Denkmal gesetzt. Da Monsieur Le Grand der deutschen Sprache nicht mächtig war, trommelte er Harry Heine die Losungen der Französischen Revolution anhand von Märschen vor. So lernte Harry die französische Sprache durch Trommeln besser verstehen. Günter Grass griff dieses Motiv 1959 in seinem Roman Die Blechtrommel auf.

Im November 1811 besuchte Napoleon persönlich Düsseldorf, um die Vorbereitungen für seinen Russlandfeldzug zu begutachten, und wurde mit höchsten Ehren empfangen. Die Düsseldorfer Stadtverwaltung ließ eigens einen Triumphbogen aus Pappmaché errichten, um den Kaiser der Franzosen zu ehren. Heine feierte den Einzug Napoleons wie die Ankunft eines Messias der neuen Zeit: „Aber, wie ward mir erst, als ich ihn selber sah, mit hochbegnadigten, eignen Augen, ihn selber, Hosianna! den Kaiser.“ Mehr dazu im Video:


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9. Erste Prügel in der Grundschule

Auch wenn es zu Hause gelegentlich Ohrfeigen von der strengen Mutter Betty gab, richtig Prügel bekam Harry Heine erst in der Schule. Als er etwa fünf Jahre alt war, schickte ihn seine Mutter in die Kinderverwahrschule der reformierten Gemeinde, wo er das ABC lernen sollte, nachdem er mit seiner Mutter schon einige Buchstaben geübt hatte. Die Lehrerin, Frau Hindermans, schlug die kleinen Kinder bei jedem Fehler, und Harry begann, sie zu hassen und ihr böse Streiche zu spielen, z. B. streute er Sand in ihren Schnupftabak.

Der Schulbesuch wurde deshalb ab 1804 in der heutigen Max-Schule fortgesetzt, wo es nicht minder streng zuging. Der als Prügelpater bekannte Lehrer Dickerscheid verpasste Harry die erste Prügelstrafe seines Lebens, die er nie vergessen sollte. Dabei war Heine in diesem Fall völlig unschuldig und hatte seinen katholischen Mitschülern in kindlicher Naivität von seinem jüdischen Großvater erzählt und damit einen regelrechten Tumult in der Klasse ausgelöst.

Die Kleinen sprangen über Tisch und Bänke, rissen von den Wänden die Rechentafeln, welche auf den Boden purzelten nebst den Tintenfässern, und dabei wurde gelacht, gemeckert, gegrunzt, gebellt, gekräht, ein Höllenspektakel, dessen Refrain immer der Großvater war, der ein kleiner Jude gewesen und einen großen Bart hatte.

Heinrich Heine: Memoiren

So vorausschauend sich Heines Mutter für die Bildung ihrer Kinder einsetzte und sie auf christliche Schulen schickte, so sehr mussten sie sich in einem judenfeindlichen Umfeld behaupten und die Hänseleien ihrer Mitschüler ertragen.

10. Gefährliche Spiele an der Düssel

Um 1810, als Heine das Gymnasium besuchte, ereignete sich an der damals noch unbefestigten südlichen Düssel ein tragischer Unfall. Sein Mitschüler Wilhelm Wisetzki verunglückte tödlich, als er ein oder zwei kleine Katzen retten wollte. Das Brett, auf dem er stand, brach plötzlich. Er wurde auf dem Golzheimer Friedhof beigesetzt. Am 20. September 2020 errichtete der Düsseldorfer Verein „Der Golzheimer Friedhof soll leben“ in der Nähe der ursprünglichen Grabstelle einen Gedenkstein.

11. Fazit: Heines glückliche Kindheit in Düsseldorf

Alles in allem verlebte Heinrich Heine in Düsseldorf eine unbeschwerte Kindheit und Jugend und behielt die Stadt in sehr guter Erinnerung. Heine trug den rheinischen Witz und Frohsinn in die Welt hinaus und wurde zum humorvollsten und geistreichsten Dichter und Schriftsteller der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In einer Zeit der beginnenden Judenemanzipation schaffte Heine den Sprung aus der kulturellen, sprachlichen und sozialen Isolation der Juden zum Sprachkünstler und gefragten Gegenwartsautor der Restaurationszeit von 1815 bis 1848. Den Grundstein dafür legten seine Eltern, indem sie ihre Kinder weltoffen erzogen und ihnen eine umfassende Bildung vermittelten. Insbesondere Heines Mutter legte mit ihrer Erziehungsstrategie der Assimilation den Grundstein für den späteren beruflichen Erfolg und sozialen Aufstieg ihrer Kinder.

Um Heines Jugend geht es in einem der nächsten Blogbeiträge.

Heinrich Heine war in Düsseldorf zuhause.

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