Heinrich Heines Großeltern: Die Familien Heine und van Geldern

Foto (SP): Jüdischer Friedhof auf dem Nordfriedhof Düsseldorf

Die Familiengeschichte Heinrich Heines ist eine Geschichte von Erfolgen und tragischen Schicksalsschlägen. Seine Vorfahren mütterlicher- und väterlicherseits waren ehrgeizig und mutig, gesellschaftlich anerkannt und doch, wie viele Juden des 18. Jahrhunderts, in ihrer Existenz ständig bedroht. Ihre Lebenswege sind faszinierende Beispiele für mutige Frauen und angesehene Männer, die stets das Beste aus ihrer Situation gemacht haben und über die wir heute mehr wissen als Heinrich Heine selbst.

Denn Heine kannte seine eigenen Großeltern nur aus Erzählungen und Porträts. Sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits hatte er nie die Gelegenheit, seine Großeltern persönlich kennen zu lernen. Die Gründe dafür waren tragisch: Entweder waren sie bereits verstorben, bevor er das Licht der Welt erblickte, oder sie starben kurz nach seiner Geburt. Dennoch sind ihre Biografien bemerkenswert und werfen ein interessantes Licht auf die Familiengeschichte des berühmten Dichters. Dieser Beitrag ist ein Seitenstück aus meinen neuen Heine-Buch, das demnächst erscheint und liebevoll gestaltete Ahnentafeln enthält.

1. Mate Eva Popert und Heymann Heine: Die väterlichen Großeltern

Über seine Großeltern väterlicherseits wusste Heinrich Heine am wenigsten, denn sein Vater Samson Heine war als Fremder nach Düsseldorf gekommen, und die entfernte Verwandtschaft in Hannover und Bückeburg spielte in seiner Düsseldorfer Kindheit und Jugend keine Rolle. Erst während seiner Lehrjahre in Hamburg lernte er einige Verwandte näher kennen und bewunderte dort das Porträt seiner Großmutter:

Im Schlafzimmer meines Oheims Salomon Heine zu Hamburg sah ich einst das Portrait der Großmutter. Der Maler welcher in Rembrandtscher Manier nach Licht-und Schatteneffekten haschte, hatte dem Bilde eine schwarze klösterliche Kopfbedeckung, eine fast eben so strenge dunkle Robe und den pechdunkelsten Hintergrund ertheilt, so daß das vollwangigte, mit einem Doppeltkinn versehene Gesicht wie ein Vollmond aus nächtlichem Gewölk hervorschimmerte. Ihre Züge trugen noch die Spuren großer Schönheit, sie waren zugleich milde und ernsthaft und besonders die Morbidezza der Hautfarbe gab dem ganzen Gesicht einen Ausdruck von Vornehmheit eigenthümlicher Art; hätte der Maler der Dame ein großes Kreuz von Diamanten vor die Brust gemalt, so hätte man sicher geglaubt das Portrait irgend einer gefürsteten Aebtissinn eines protestantischen adlichen Stiftes zu sehen.

Heinrich Heine

1.1 Mate Eva Popert (1739-1799): Die Stütze der Familie

Mate Eva Popert stammte aus einer wohlhabenden Familie in Altona und war die jüngste Tochter des wohlhabenden Wechselmaklers Meyer Samson Popert und seiner Frau Frummet, geb. Heckscher. Sie heiratete den in Hannover ansässigen Heymann Heine in ihren frühen 20ern, als dieser bereits Mitte 30 war. Nach seinem frühen Tod am 18. September 1780 wurde Jehuda Löb Heine zum Vormund ihrer fünf Söhne ernannt. Mit ihm kehrte sie in ihre Heimatstadt Altona zurück und lebte in bescheidenen Verhältnissen. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, heiratete Mate den Witwer ihrer Schwester Bendix Schiff, einen einflussreichen Merchant Banker und Vorsteher der jüdischen Gemeinde, der 1794 starb.

Mate Eva Popert war eine kluge und vorausschauende Frau mit vielen Verbindungen. Durch ihre Kontakte vermittelte sie ihrem dritten Sohn Salomon Heine eine Lehrstelle bei ihrem Cousin, dem Bankier Wolf Levin Popert im benachbarten Hamburg. Salomon war sehr erfolgreich und stieg in kurzer Zeit zum reichsten Hamburger auf. Er sollte später zu Heinrich Heines großem Mäzen werden und ihn zeitlebens finanziell unterstützen, damit er frei und unabhängig als Schriftsteller und Journalist arbeiten konnte.

Mate wurde auf dem jüdischen Friedhof Königstraße in Altona beigesetzt, und in der Grabinschrift als angesehene und fromme Frau gewürdigt:

Hier ist geborgen eine angesehene Frau, die züchtige und fromme Mate Chava, Tochter des geehrten Herrn Meir Popert, Gattin des Kassenverwalters des geehrten Herrn Bendit Schiff, verschieden und begraben am Tag 3, 4. Nissan 559 der kleinen Zählung. Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.

1.2 Heymann Heine (1722-1780): Der Respektierte

Heymann Heine lebte in Hannover und heiratete in zweiter Ehe Mate Eva Popert, nachdem seine erste Frau Edel, Tochter des geachteten Leser Gans, bereits um 1757/58 gestorben war. Die Familie erlebte zwischen 1750 und 1780 eine kurze Blütezeit und war sehr wohlhabend. Sie wohnte in einem hohen, schmalen Fachwerkhaus in der Langen Straße 15 der Calenberger Neustadt, das leider 1943 zerstört wurde.

Heymann Heine war ein angesehenes Mitglied der jüdischen Gemeinde und für sein soziales Engagement bekannt. 1762 gehörte er zu den acht ehrwürdigen Gründungsmitgliedern des „Vereins zum Studium der göttlichen Lehre, zum Krankenbesuch und zur Wohltätigkeit“. Bei seinem Tod hinterließ er fünf Söhne im Alter von 5 bis 17 Jahren. Sein Grab (Nr. 304) befindet sich auf dem alten jüdischen Friedhof an der Oberstraße in Hannover, dem ältesten seiner Art in Norddeutschland. Auch Jente Hameln, die Ururururgroßmutter von Heinrich Heine und gleichzeitig Schwägerin der bekannten Geschäftsfrau und Verfasserin der „Denkwürdigkeiten“ Glückel von Hameln, ist hier bestattet, ebenso wie weitere Verwandte. Ein Besuch lohnt sich also gleich mehrfach.

Heinrich Heines jüdischer Geburtsname „Harry“ leitete sich nach jüdischer Tradition von Heymann ab. Seine kindliche Bewunderung für den Großvater brachte ihm in der Schule Ärger ein, als er stolz erzählte, sein Großvater sei ein „kleiner Jude mit einem langen Bart“ gewesen, was zu tumultartigen Reaktionen in der Klasse und zur ersten Prügelstrafe seines jungen Lebens führte.

(…) jedesmal, wenn von kleinen Juden mit großen Bärten die Rede war, lief mir eine unheimliche Erinnerung grüselnd über den Rücken. »Gesottene Katze scheut kochenden Kessel« sagt das Sprüchwort und jeder wird leicht begreifen daß ich seitdem keine große Neigung empfand nähere Auskunft über jenen bedenklichen Großvater und seinen Stammbaum zu erhalten oder gar dem großen Publikum wie einst dem kleinen dahinbezügliche Mittheilungen zu machen.

Heinrich Heine

2. Gottschalk van Geldern und Sorel Bock: Die mütterlichen Großeltern

Im Gegensatz zu den Großeltern väterlicherseits spielte die Verwandtschaft von Heines Mutter Betty van Geldern eine größere Rolle in Heinrich Heines Leben, was vor allem auf die räumliche Nähe zu Düsseldorf zurückzuführen ist. Hier kannte Heine seine Großeltern immerhin vom Hörensagen und stand in regem Austausch mit seinem Onkel Simon van Geldern, seiner Tante Hanna und seinen Großtanten Veronika und Brunella, die ihm auch vom sonderbaren Morgenländer erzählt hatten. Es ist wahrscheinlich, dass er die Gräber seiner Großeltern und seines früh verstorbenen Onkels Joseph van Geldern gesehen hat.

2.1 Sorel Bock (1730-1779): Die zarte Frau

Über Heines Großmutter Sorel oder Sarla (Sara) ist leider nur wenig bekannt. Sie war die Tochter des Pinchas Bock aus Siegburg und war die Gattin des Arztes Dr. Gottschalk van Geldern. Sie brachte fünf Kinder zur Welt und starb früh. Heine wusste von ihr nur, dass sie einen grünen Papagei besaß, den er ausgestopft auf dem Dachboden sah, wie in seinen Memoiren nachzulesen ist.

Geblieben ist von Heines Großmutter nur der Grabstein (oben rechts im Bild) und dieser hat eine beeindruckende Geschichte. Er wurde 1884 bei Ausschachtungsarbeiten in zehn Meter Tiefe liegend gefunden und stammte vom alten jüdischen Friedhof an der Kasernenstraße. 1983 wurde er wiederentdeckt bzw. entziffert und an der Außenwand der Leichenhalle aufgestellt, wo er noch heute zu besichtigen ist.

Die Grabinschrift der am 3. Januar 1779 verstorbenen Großmutter Heines lautet:

Hier ruhen geborgen die Überreste der wackeren, zarten, anmutigen Frau Sorel, Tochter des Herrn David Bock (aus dem Geschlechte der Aroniden) aus Siegburg, Gattin des Arztes Dr. Gottschalk de Geldern. Heimgegangen nach Ausgang des heiligen Sabat, wurde sie mit hohen Ehren begraben am Sonntag 15 Thebet des Jahres 5539 seit Erschaffung der Welt. Es sei ihre Seele eingeschlossen in den Bund des Lebens.

2.2 Gottschalk van Geldern (1726-1795): Der berühmte Arzt

Gottschalk van Geldern war ein hoch geschätzter Arzt und „Juden-Doktor“, der auch das Amt des Gemeindevorstehers der Jülich-Bergischen Judenschaft innehatte. Er hatte sein medizinisches Staatsexamen 1752 an der Universität Duisburg abgelegt, die damals zu Kleve gehörte und somit „Ausland“ war. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit, die ihm nur geringe Verdienstmöglichkeiten bot, betrieb er das traditionelle jüdische Pfandleih- und Kreditgeschäft.

Die Familie wohnte in dem schmalen Haus in der Mertensgasse 1, das auch das Geburtshaus von Heines Mutter war. Nach dem Tod seiner ersten Frau Sorel heiratete er ein zweites Mal: Veronika Lahnstein aus St. Goar. Das Verhältnis zu seinen Kindern war jedoch unterkühlt. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes verließ sie bald den gemeinsamen Haushalt und bedachte ihre Stiefkinder nicht einmal in ihrem Testament. Selbst Heines Bruder Maximilian kannte sie nur als entfernte „Tante“.

Was war geschehen? Gottschalk van Geldern war im Oktober 1795 in Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit gestorben, denn die Kriegswirren und die französische Besetzung Düsseldorfs hatten den Nährboden für die Ausbreitung einer hochansteckenden Infektionskrankheit, der Roten Ruhr, bereitet. Sein Tod war ein Schock für die ganze Familie. Nun übernahm sein Sohn Joseph van Geldern die Praxis, der bereits zum „Hofmedicus“ aufgestiegen war. Doch auch er erlag im Frühjahr 1796 der Roten Ruhr – ein weiterer Schicksalsschlag, der besonders Heines Mutter schwer traf und sie in eine depressive Stimmung versetzte.

Die Grabinschrift des „Doctor Gottschalk de Gueldern“ und weitere Angaben finden sich in hebräischen Druckbuchstaben auf den Seiten 275 und 303 des Aufsatzes des jüdischen Wissenschaftlers David Kaufmann (1852-1899). Ich kann sie leider nicht entziffern. Bitte schreiben Sie mir, wenn Sie des Hebräischen mächtig sind und die Übersetzung übernehmen möchten. Vielen Dank!

Düsseldorf ist eine Stadt am Rhein, es leben da 16,000 Menschen, und viele hunderttausend Menschen liegen noch außerdem da begraben. Und darunter sind manche, von denen meine Mutter sagt, es wäre besser sie lebten noch, z. B. mein Großvater und mein Oheim, der alte Herr v. Geldern und der junge Herr v. Geldern, die beide so berühmte Doctoren waren, und so viele Menschen vom Tode kurirt, und doch selber sterben mußten.

Heinrich Heine

3. Fazit: Ein Blick in Heinrich Heines Ahnensaal

Heinrich Heine mag seine Großeltern nicht persönlich gekannt haben, aber ihre Lebensgeschichten und ihr Erbe waren ein prägender Teil seiner jüdischen Identität. Bemerkenswerte Frauen wie Mate Eva Popert und Sorel Bock sowie angesehene Männer wie Heymann Heine und Gottschalk van Geldern haben ihre Spuren in der Familiengeschichte und letztlich auch in Heinrich Heines literarischem Werk hinterlassen. Zudem gibt es zahlreiche genealogische Querverbindungen, etwa zu Heines Berliner Bekanntenkreis rund um Eduard Gans und den „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“, denn Heinrich Heine war auch ein Ur-Urenkel von Josef Gans. Die Erforschung der Vorfahren Heines, der Familien Heine und van Geldern, ist ein fesselndes Seitenstück zur Geschichte des berühmten Dichters, das einen immer wieder in seinen Bann zieht.

4. Literaturangaben zum Weiterlesen

Kaufmann, David: Aus Heinrich Heine’s Ahnensaal, Breslau: S. Schottlaender, 1896.

Steckmest, Sylvia: Salomon Heine. Bankier, Mäzen und Menschenfreund: Die Biographie eines großen Hamburgers, Hamburg 2017.

Kruse, Joseph A.: „Sehr viel von meiner mütterlichen Familie“ (H. Heine). Geschichte und Bedeutung der van Gelderns mit 5 Stammtafeln, in: Ders.: Heine-Zeit, Stuttgart 1997, S. 1-44.

Alter Jüdischer Friedhof an der Oberstraße, in: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Alter_J%C3%BCdischer_Friedhof_an_der_Oberstra%C3%9Fe

Jüdischer Friedhof Altona: https://www.jüdischer-friedhof-altona.de/index.html

Glikl bas Judah Leib, in: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Glikl_bas_Judah_Leib

Gans (Familie) in: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Gans_(Familie)

Hinweis: Die in diesem Artikel verwendeten Zitate und Informationen stammen aus den angegebenen Quellen und sind Teil meiner Recherche für mein neues Buch. Liebevoll gestaltete Ahnentafeln werden Sie tief in Heines Lebens- und Erfahrungswelt eintauchen lassen.

Heinrich Heine war in Düsseldorf zuhause.

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